Warum dein Pferd nicht losgelassen läuft – und was die Hinterhand damit zu tun hat
- Lisa Winkler
- 20. Okt.
- 4 Min. Lesezeit
Vielleicht hast du schon erlebt, dass dein Pferd trotz lösender Arbeit fest bleibt, kurz tritt oder keinen Schwung entwickelt. Oft wird das vom Reiter dann als eine feste Schulter oder fehlende Lockerheit im Hals empfunden. Der Grund liegt aber selten allein im Kopf–Hals-Bereich.
Tatsächlich entscheidet die Hinterhand darüber, ob Losgelassenheit überhaupt möglich wird.
Die Hinterhand ist das Kraftwerk des Pferdes. Sie sorgt nicht nur für Vortrieb, sondern vor allem für Balance, Stabilität und eine gesunde Rückenbewegung. Ohne eine funktionierende Hinterhand bleibt echte Losgelassenheit unmöglich – egal, wie viel du am Zügel und Sitz korrigierst.
In diesem Artikel schauen wir uns an, wie die Hinterhand biomechanisch arbeitet, warum sie so entscheidend für die Losgelassenheit ist und welche Anzeichen dir zeigen, ob dein Pferd die Hinterhand wirklich nutzt.

Die Biomechanik der Hinterhand – ein Überblick
Die Hinterhand setzt sich aus Becken, Hüftgelenken, Oberschenkelknochen, Knie, Sprunggelenken und der Kruppenmuskulatur zusammen. Auch ihre Verbindung zur Wirbelsäule, das Iliosakralgelenk, spielt dabei eine zentrale Rolle.
Sie wirkt wie ein Feder-Motor-System:
Vortrieb (Schubkraft): Das Pferd stößt sich mit der Hinterhand ab und bewegt den Körper nach vorne.
Lastaufnahme (Tragkraft): Das Pferd senkt die Kruppe, beugt die Gelenke und nimmt mehr Gewicht auf die Hinterhand.
Ein gut trainiertes Pferd kann flexibel zwischen diesen beiden Funktionen wechseln. Genau darin liegt der Schlüssel für Gesundheit und Rittigkeit.
Schieben vs. Tragen – warum beides wichtig ist
Viele Pferdebesitzer kennen den Begriff „Schubkraft“ – das kräftige Abfußen nach vorn. Doch erst die Fähigkeit, Tragkraft zu entwickeln, bringt das Pferd ins Gleichgewicht.
Schubkraft allein führt oft zu Tempo und Fleiß, aber nicht zu Balance. Das Pferd „rennt“ auf der Vorhand. Denn die Aufgabe der Vorhand ist es, den Schub aus der Hinterhand federnd aufzufangen.
Tragkraft bedeutet, dass die Hinterhand die Last mitträgt, die Gelenke stärker gebeugt werden und der Rücken frei schwingen kann.
Biomechanisch passiert dabei Folgendes: Das Becken kippt leicht nach hinten, die Hinterhand senkt sich, die Lendenpartie wird beweglicher. Diese Bewegung überträgt sich durch die Wirbelsäule – das Pferd wird locker, elastisch und kann den Reiter tragen, ohne Schaden zu nehmen.
Wenn Blockaden die Hinterhand ausbremsen
Neben mangelnder Muskulatur oder ungenügendem Training gibt es noch eine weitere häufige Ursache, warum die Hinterhand nicht so arbeitet, wie sie sollte: Blockaden und Muskelverspannungen im Bereich der Hüfte oder des Iliosakralgelenks (ISG) schränken die Bewegung ein und lassen das Gangbild steif wirken.
Das ISG verbindet die Wirbelsäule mit dem Becken und ist sozusagen die Stelle der Kraftübertragung zwischen Rücken und Hinterhand. Ist es in seiner Beweglichkeit eingeschränkt, wirkt sich das sofort auf den gesamten Bewegungsablauf aus:
Das Becken kann nicht mehr frei kippen.
Die Hinterhand tritt kürzer, das Pferd „schiebt“ nur noch statt Last aufzunehmen.
Der Rücken verliert an Schwingung, Verspannungen setzen sich bis in Hals und Genick fort.
Auch muskulär bedingte Schiefstände im Becken oder in den Hüftgelenken haben weitreichende Folgen. Sie führen dazu, dass ein Hinterbein mehr Last trägt als das andere. Das äußert sich zum Beispiel durch:
ungleiche Tritte links/rechts
Schwierigkeiten in den Seitengängen oder beim Angaloppieren auf einer bestimmten Hand
häufiges Stolpern oder „wegknicken“ auf einer Seite
Als Physiotherapeutin schaue ich in der Behandlung deshalb ganz gezielt auf diese Bereiche. Mit manuellen Techniken lässt sich die Beweglichkeit von Hüftgelenken und ISG verbessern, sodass das Pferd seine Hinterhand wieder gleichmäßig einsetzen kann. Erst wenn die Struktur frei ist, macht gezieltes Training wirklich Sinn – sonst verstärken sich die Probleme nur.
Folgen einer schwachen oder verspannten Hinterhand
Wenn die Hinterhand nicht richtig mitarbeitet, entstehen typische Probleme, die du vielleicht schon beobachtet hast:
Kurze, flache Tritte ohne Raumgriff
Mehr Gewicht auf der Vorhand, oft erkennbar an Stolpern oder harten Schritten
Verspannter Rücken, kein Schwingen im Trab
Taktfehler oder Schwierigkeiten in Übergängen
Erhöhtes Verschleißrisiko für Gelenke und Sehnen, besonders in der Vorhand
Das ist auch der Grund, warum viele „Probleme im Maul“ oder an der Oberlinie in Wahrheit von hinten kommen: Wenn die Hinterhand blockiert, kann der ganze Körper nicht frei arbeiten.
Was bedeutet das für die Losgelassenheit?
Losgelassenheit ist mehr als ein weicher Hals. Ein Pferd ist erst dann wirklich losgelassen, wenn Rücken und Hinterhand im Fluss sind. Ohne aktive Hinterhand bleibt der Rücken starr, die Bewegungen hart und der Reiter spürt ein „gegen die Hand gehen“.
Aktiviert man die Hinterhand, wirkt das wie ein Reset für das gesamte System:
Der Rücken beginnt zu schwingen.
Der Hals wird frei und elastisch.
Das Pferd kann sich selbst tragen und findet in eine natürliche Balance.
Genau deshalb gilt die Hinterhand als Schlüssel zur Losgelassenheit.
Praxis: Woran du erkennst, ob dein Pferd die Hinterhand richtig einsetzt
Du musst kein Profi sein, um die Arbeit der Hinterhand zu beurteilen. Achte einfach auf diese Punkte:
Trittweite: Setzt die Hinterhand mindestens bis an den Abdruck der Vorderhand?
Rückenbewegung: Spürst du im Sattel ein Schwingen, oder sitzt du „hart“?
Übergänge: Gelingen sie flüssig und rund, oder bricht das Pferd weg?
Balance: Wie funktionieren Handwechsel und Volten?
Diese Beobachtungen geben dir wertvolle Hinweise. Schon kleine Unterschiede zeigen, ob die Hinterhand trägt oder nur schiebt.
Die Hinterhand ist nicht einfach nur ein „Antriebsmotor“ – sie ist der Schlüssel zu Balance, Losgelassenheit und langfristiger Gesundheit. Wer die Biomechanik der Hinterhand versteht, erkennt schneller die Ursachen für viele Probleme und kann gezielt daran arbeiten.
Möchtest du tiefer einsteigen? Wenn du im Raum Düsseldorf/Köln wohnst und dein Pferd gezielt physiotherapeutisch unterstützen möchtest, melde dich gerne für eine Behandlung – ich löse gezielt die Probleme deines Pferdes und gebe dir wertvolle Tipps für den Trainingsalltag.




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